Fährtensucher, Tiefseetaucher, Wortvagant.
Drei Behauptungen zu Christoph W. Bauer
von Dr. Martin Sailer (ORF)
I
Fährtensucher: Es gebe im Grunde keine Gegenwart, ist eine der Behauptungen zur menschlichen Wahrnehmung. Was wir für Jetzt halten, sei in Wahrheit ein Damals: denn bis wir etwas Erlebtes in Begriffe fassen können, ist es ja schon – wenn auch nur um den Hauch der Zeit - vorbei. So seien wir letztlich Lebende im Schnittpunkt der Rückschau ins Gestern und der Vorschau ins Morgen. Dazwischen liege der flüchtige Graubereich dessen, was wir als „Gegenwart“ behaupten.
Eigentlich eine hoffnungslose Konstellation: Die Gegenwart eine bloße Illusion, und wehe dem, der daraus erwacht. Hinter uns das Entschwundene, und vor uns das, was noch gar nicht ist. Leben wir also überhaupt, wenn wir nur in der Fiktion existieren?
Leben wir im Nichts?
Poesie vermag – wie auch andere Künste – dieses Nichts zu einem Sein zu machen: Erfundenes hat keine Zeit, Geschriebenes bleibt geschrieben, es kann – im Weiterdenken der Geschichte – ein Morgen sein.
Und jetzt die Behauptung: Christoph W. Bauer sucht Fährten in dieser Zeitenwirrnis, und sie führen ihn auch zu jenen Spuren, die die Literatur mit ihren Mythen, ihrem Möglichkeitssinn, ihren Traumgebilden vor ihm hingezogen hat – über Jahrhunderte hinweg. Freilich: Bauer begnügt sich nicht damit, in diesen Spuren einherzustapfen. Sie geben ihm Aussicht. Er kennt das Gelände, in dem sie verlaufen, aber er geht, ein Fährtensucher des Jetzt, seinen eigenen Weg. Und damit sind wir bei der zweiten Behauptung:
II
Tiefseetaucher: Der Weg , der gerade beschrieben wurde – dieser Weg besteht möglicherweise aus dem Wort. Wohin führt er? Über das Vergessen hinweg? Ist das Schreiben also eine Brücke über den Styx, dieses Gewässer des Vergessens? Der Poet einer, der über diese Brücke gehen und zurückkehren kann? Ich glaube schon.
Christoph W. Bauer jedenfalls bewegt sich auf dieser Brücke, er kann von hier aus schöpfen aus dem Gewässer, er kann von dort aus aber auch hinuntertauchen, und was er hervorbringt, sind Sprache und Sätze. Er selbst formuliert das weit sachlicher, wenn er im „Logbuch einer Reise ins Verschwinden“ behauptet: „Was dem einen Religion ist, nennt ein anderer mythologischen Hokuspokus, ein Dritter wiederum Literatur. Unterm Strich bleibt: ein Machwerk der Sprache“.
Da ist Bauer zu widersprechen: Ein Machwerk sind seine Texte ganz und gar nicht, zu tief taucht er für das, was er über die Oberfläche hinaufreicht: Poesie, eigenwillig gefärbt, Poesie, die zu Lande, zur Luft und im Wasser gleichermaßen existiert. Aber Halt: Bauer ist auch Recht zu geben, denn das Wort „Poesie“ bedeutet ja, wie er anfügt, in seinem ursprünglichen Sinn „Herstellen, Fertigen“. Aber das ist mir etwas zu prosaisch, das Bild vom Musenkuß ist allzu schön.
III
Wortvagant: Küsse bedeuten nicht selten Abschied, und Bauers Schreiben ist auch ein Weggehen, ein Seinen- Weg-Gehen: In seinen Büchern ist er weitergegangen. Er hat sich auch abenteuerlustig ins Gebüsch geschlagen, etwa, wenn er sich mit Guido Cavalcanti befaßte, einem Freund Dantes, der selbst stilbildend wirkte, ins Exil ging, zurückkehrte, verbannt wurde und bei seiner neuerlichen Rückreise starb. Ein Vagant also auch.
Bauer ist natürlich auch ein Spieler – auch ein Wesenszug des Vaganten, der das Wort Vagantentum immer etwas anrüchig sein ließ. Denn fahrendes Volk, es sammelt im Dahinfahren ja ein deutlich Mehr an Erfahrungen, und das mag Vielen suspekt sein. Aber welchen Reiz das Spielen hat! Entdeckung des Neuen, Verändern des Bisherigen, ein Spiel der Möglichkeiten, aus dem Poesie Wirklichkeit macht. Und darin – wie Bauer – nicht vergißt, daß es Stehenbleiben im vermeintlichen Jetzt nicht gibt. Wohl auch deshalb hat er seinem neuen Buch „supersonic“ einen Satz aus den Bekenntnissen des Augustinus vorangestellt: „Und nirgends ein Ort, wir gehen fort, wir kommen her, und nirgends ein Ort.“
| Bestellung | zurück